Beginn
Gefahrgut
Energie
Forum
Autor
Kontakt
Impressum

Letzte Änderung:
Freitag, 20. März 2009 

Reinhold Zitzelsberger Webmaster

 

Strukturreform 2001

Sie befinden sich hier:

> Beginn > Gefahrgut > Archiv 2002 > Strukturreform 2001

Strukturreform 2001

Wie werden die Vorschriften künftig aussehen?

Dipl.-Ing. Klaus Ridder, Königswinter

 

 

Vorschriften sollen so einfach wie möglich, leicht verständlich und möglichst kurz gefasst sein. Schaut man sich die 5.000 - 6.000 Seiten Vorschriftentext im Gefahrgutbereich an, so kann man das alles nicht bestätigen. Vorschriften sollen darüber hinaus noch so weit mit anderen Gesetzeswerken harmonisiert sein, dass es diesbezüglich keine Probleme gibt.

 

Es soll aufgezeigt werden, wie man zu Beginn des Jahres 2000 die Vorschriftenharmonisierung und Vorschriftenvereinfachung betrieben hat, wie der Stand der Dinge ist und wie die Zukunft aussehen wird.

 

Geschichte

1831 gab es in der sog. „Mainzer Akte“, die sich mit Fragen des Transports von Gütern und Menschen auf dem Rhein befasste, einen gefahrgutbezogenen Artikel. Hier wurde in wenigen Sätzen ausgeführt, wie Schießpulver zu befördern war.

 

Zuvor hatte es 1799 Vorschriften des preußischen Königs gegeben, der ebenfalls die Beförderung von Schießpulver regelte, allerdings beim Transport mit Pferdefuhrwerken. 1891 kamen dann international abgestimmte Vorschriften für den Eisenbahnverkehr hinzu, nach dem 2. Weltkrieg befasste man sich mit internationalen Vorschriften für die Seeschifffahrt und für den Luftverkehr.

 

Das Problem war, wollte man verkehrsträgerübergreifend befördern, dass die Vorschriften nicht aufeinander abgestimmt waren: unterschiedliche Klassifizierungssysteme, unterschiedliche Anforderungen an Verpackungen, unterschiedliche Anforderungen an die Bezettelung usw. Das man überhaupt noch gefährliche Güter mit mehreren Verkehrsträgern und ggf. noch nach Übersee befördern konnte, war allein der Praxis zu verdanken, die Wege und Möglichkeiten fand, dass der Transport doch abgewickelt werden konnte.

 

Erst mit den Aktivitäten der Vereinten Nationen durch das sog. „orange book“ (1956) und der Internationalen Atomenergie-Organisation durch die IAEO-Empfehlungen (1961) begann der verkehrsträgerübergreifende Harmonisierungsprozess. Dieser war zu Beginn des Jahres 2000 im großen und ganzen abgeschlossen: einheitliche Gefahrklassen, einheitliche Klassifizierung, einheitliche Flammpunktgrenzen, einheitliche Anforderungen an die Verpackungsprüfung und weltweit abgestimmte Beförderungsvorschriften für Radioaktivtransporte.

 

Man kann also zusammenfassend mit Stolz sagen, dass zu Beginn des Jahres 2000 die Gefahrgutvorschriften der einzelnen Verkehrsträger grundsätzlich miteinander harmonisiert waren.

 

Nun denkt man schon weiter, man will die verschiedenen Rechtsgebiete, insbesondere das Gefahrgut-, Gefahrstoff- und Umweltschutzrecht ebenfalls aufeinander abstimmen und hat dies in der sog. Konferenz von Rio (1992) beschlossen. Die Arbeiten laufen und vielversprechende Zwischenergebnisse liegen schon vor. Das „Global Harmonized System” (GHS) soll etwa 2010 in Kraft treten können, vorausgesetzt, man kann sich überhaupt einigen.

 

Vereinfachung

Verkehrsträgerspezifisch waren die Vorschriften entstanden, die Darstellungsform war unterschiedlich:

- RID, ADR und ADNR sog. Randnummernsystem

- IATA-DGR/ICAO-TI sog. Tabellensystem

- IMDG-Code sog. Loseblattsystem.

 

Betrachtet man alle 3 Systeme, so kommt man schnell zu der Auffassung, dass wohl das Tabellensystem das fortschrittlichste ist.

 

Es gibt natürlich auch „Gefahrgutexperten“, die sich im Verlaufe der Jahre mit dem Randnummernsystem so vertraut gemacht haben, dass sie es nicht mehr missen möchten. Diese Experten wissen sofort, dass sich die Rn. 10 011 ADR mit begrenzten Mengen und die Rn. 10 385 ADR mit Schriftlichen Weisungen befasst.

 

Leicht verständlich ist an sich auch der IMDG-Code als Loseblattsammlung. Das Problem ist allerdings, dass man einige Ordner benötigt, um alle 3.500 Blätter unterzubringen.

 

Etwas zurück in die Geschichte muss man feststellen, dass in den 70er Jahren bereits eine Arbeitsgruppe des damaligen Gewerbetechnischen Beirats, der seit Jahrzehnten das Bundesverkehrsministerium in Sachen Gefahrguttransporte beriet, zu der Auffassung gekommen war, dass die Darstellung in Tabellenform wohl die beste ist. Letztendlich war das Ergebnis der 70er Jahre auch Grundlage für die ICAO-TI (1984) und später für die Strukturreform.

 

Mit den Arbeiten für die Strukturreform wurde 1991 begonnen. Seinerzeit wurde Prof. Dr. Schulz-Forberg (BAM, Berlin) beauftragt, zunächst entsprechende Vorarbeiten zu leisten. Die Strukturreform beschränkte sich anfänglich nur auf das ADR (Straße), wurde später auf die Eisenbahn (RID) ausgedehnt und man entwickelte die neue Struktur gemeinsam fort (in den sog. Gemeinsamen Tagungen). Später entschlossen sich die Verkehrsträger Luft (ICAO-TI), See (IMDG-Code) und auch ZKR (ADNR), ihre Werke ebenfalls umzustrukturieren.

 

Hinzu kam, dass nunmehr auch das sog. „orange book“, das richtungsweisend für alle verkehrsträgerübergreifenden Vorschriften weltweit ist, ebenfalls sich der neuen Struktur annahm. Bereits die 10. und 11. Ausgaben des „orange book“ hatten die neue Struktur.

 

Was ist neu?

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf das umstrukturierte ADR.

 

Das ADR wird künftig in 9 verschiedene Teile unterteilt (Anlage).

 

Das wohl wichtigste Kapitel ist Teil 3, hier finden wir eine Stoffliste, geordnet nach Stoffen entsprechend steigenden UN-Nummern. Hinter jedem Stoff wird in den folgenden Spalten aufgeführt, wie der Stoff klassifiziert wird, welche Gefahrzettel er trägt, welche Verpackungen erforderlich sind usw. So kann man anhand der Stoffliste sofort erkennen, welche Vorschriften für den betreffenden Stoff einzuhalten sind - eine wesentliche Erleichterung gegenüber dem jetzigen Vorschriftenwerk.

 

Neu und „sensationell gut“ ist der Teil 1, der sich mit Begriffen befasst. Die Erläuterung der Begriffe hat gleichzeitig „Rechtscharakter“, d. h. wenn hier beispielsweise der Verlader oder Beförderer definiert wird, dann ist diese Definition rechtsverbindlich.

 

Im Klartext bedeutet das ferner, dass beispielsweise der Begriff Absender einheitlich im ADR festgelegt wird und dadurch die jeweils nationale Gesetzgebung (in Deutschland beispielsweise das Handelsgesetzbuch) gefahrgutrechtlich keine Bedeutung mehr hat. Man muss allerdings hier die Praxis abwarten, ob tatsächlich der große Wurf gelungen ist.

 

Die Teile sind in allen Rechtsvorschriften der einzelnen Verkehrsträger gleich, lediglich die Teile 7 (Handhabung), 8 (Ausbildung, Ausrüstung) und 9 (Bauvorschriften) unterscheiden sich bezogen auf den Verkehrsträger. Das ist auch logisch, weil beispielsweise ein Gefahrgutfahrer (Lkw) etwas anderes ist als ein Lokführer und ein Binnenschiff anders gebaut wird als ein Lkw.

 

Wichtig ist auch, dass sich Teil 3 mit Kleinmengenregelungen und Freistellungen befasst. Alle Freistellungen, die beispielsweise vorher in den jeweiligen Stoffaufzählungen (sog. a-Randnummern) oder als begrenzte Mengen in der Anlage B aufgeführt waren, werden künftig in diesem Kapitel festgeschrieben werden. Die Tabelle der „begrenzten Mengen“ (derzeit Rn. 10 011 ADR) wurde besser dargestellt, praktisch auch hier eine Vereinfachung!

 

Die Ausbildung von Mitarbeitern, die in die Beförderung gefährlicher Güter involviert sind (derzeit Rn. 10 316 ADR), wird in Unterabschnitt 1.3 übernommen. Hier wird auch klargestellt, dass nunmehr Fahrzeugführer, die nicht unter die Schulungspflicht des künftigen Teil 8 fallen, dieser Schulung zu unterziehen sind.

 

Der europäische Sicherheitsberater (Gefahrgutbeauftragter in D) wird künftig im RID/ ADR wieder zu finden sein. Die Europäische Kommission (KOM) wird ihre diesbezüglichen Zuständigkeiten an die UN/ECE bzw. OCTI abtreten. Dadurch besteht in künftig 36 Staaten Europas (ADR-Übereinkommen) sowie in allen RID-Vertragsstaaten die Pflicht, einen Sicherheitsberater (Gefahrgutbeauftragten) zu bestellen. Übernommen aus der EG-Richtlinie für Sicherheitsberater wurde auch die Pflicht, bei schweren Unfällen oder Zwischenfällen einen „Unfallbericht“ zu erstellen. Der Bericht ist dem Sekretariat der UN/ECE weiterzuleiten und soll hier im Hinblick auf die Fortentwicklung der Vorschriften ausgewertet werden.

 

Einzelheiten zum Aufbau der einzelnen Teile siehe Anlage.

 

Übergangsregelungen

Das neue ADR (und auch RID) tritt am 1. Juli 2001 in Kraft. Bekanntmachung in Deutschland ist für Anfang 2001 vorgesehen (Aufstellung siehe Anlage).

 

Weil man aber schon heute weiß, dass vielleicht in Deutschland eine rechtzeitige Bekanntmachung erfolgen wird, dies aber von den anderen ADR-Vertragsstaaten wohl nicht der Fall sein wird, hat man großzügige Übergangsregelungen eingeplant: 18 Monate (Ausnahme RAM, hier sind es 6 Monate)!

 

In diesen 18 Monaten kann man sowohl das alte Recht (ADR 99) als auch das neue Recht (umstrukturiertes ADR 2001) anwenden.

 

Allerdings werden sich die routinemäßigen Änderungen, die automatisch zum 1. Januar 2001 gekommen wären, nur auf das umstrukturierte ADR beziehen.

 

Auch die anderen Verkehrsträger haben ihren Inkraftsetzungstermin mittlerweile fixiert:

ICAO-TI: 1. Juli 2001

IMDG: 1. Januar 2001 + 12 Monate

ADNR: 1. Januar 2002 + 12 Monate.

 

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Gefahrgutvorschriften zu Beginn des Jahres 2000 verkehrsträgerübergreifend harmonisiert waren und nunmehr auch eine vereinfachte Darstellung, ebenfalls verkehrsträgerübergreifend, in naher Zukunft kommen wird.

 

Alle Betroffenen werden gewaltig umstellen müssen, denn wer sich mit dem Randnummernsystem zurecht fand, muss künftig anders denken.

Auch ist damit zu rechnen, dass in der Anfangsphase viele Ungereimtheiten auftreten werden. Alle müssen hierbei mitdenken und mitarbeiten - auch Sie!